Fachgeschichte

Der Beginn

Die Entdeckungen der assyrischen Paläste um die Mitte des 19. Jahrhunderts durch Franzosen und Engländer führte zum Abtransport der dort gefundenen Reliefs in den Louvre und in das Britische Museum. Die Funde erregten ein großes allgemeines und öffentliches, aber auch fachliches Interesse am alten Orient. Die Darstellungen auf den Reliefs und die wachsende Anzahl von Keilschrifttexten wurden mit Bibeltexten in Zusammenhang gebracht, entfachten aber bald auch eine Diskussion über deren Ursprung. Zu der Zeit kamen jedoch nur wenige altorientalische Objekte nach Österreich. So blieben in der Forschung zunächst England, Frankreich und auch Deutschland, das Objekte ankaufte, führend. Dennoch wurde in dem 1886 gegründeten Orientalischen Institut in Wien neben Arabisch, Türkisch, Sanskrit etc. auch Altägyptisch, Sabatäisch sowie Assyrisch-Babylonisch unterrichtet. 1887 wurde im Institut die bis heute existente "Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes" gegründet, in der seitdem auch zahlreiche Abhandlungen zum Alten Orient erscheinen.

Löwe von der Prozessionsstraße in Babyon, 604–562 B.C., Metropolitan Museum New York, Inv.Nr. 31.13.1 @ public domain: www.metmuseum.org/art/collection/search/322585

Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum 1. Weltkrieg

Stele des babylonischen Königs Nabonid (556–539 v. Chr.), Ṣanlı Urfa Müzesi @ Stephan Procházka

Für die Jahre 1885-1912 darf David Heinrich Müller (1864-1912) als derjenige genannt werden, der Assyrisch-babylonisch, aber auch Hebräisch, Aramäisch und Äthiopisch unterrichtete, wenngleich sein Schwerpunkt auf dem Arabischen lag und sein Forschungsgebiet Südarabien war. Für die Keilschriftforschung waren seine Arbeiten von geringer Bedeutung, er übersetzte aber 1904, ein Jahr nach dessen Entdeckung, den Kodex Hammurapi in das biblische Hebräisch, um die Beziehungen zur Gesetzgebung des Pentateuchs zu interpretieren.

Auch sein Nachfolger Rudolf Geyer (1861-1929) betrieb vornehmlich Arabistik, seine Forschungen widmete er der altarabischen Poesie und ihrer Umwelt. Sein Schüler Friedrich Hrozný (1879-1952) richtete sein Interesse auf das Assyrische, Sumerische, Aramäische, Äthiopische und auf Sanskrit. Nach seiner Promotion vertiefte er seine Ausbildung bei dem damals führenden Altorientalisten Friedrich Delitzsch in Berlin. Ab 1905 war er in Wien Privatdozent und ging auf Forschungsreisen, um Keilschrifttexte zu kopieren. 1914, nach dem Tod des für die Texte der Ausgrabung im türkischen Boğazköy/Ḫattuša zuständigen Assyriologen Hugo Winkler, wurde Hrozný dorthin entsandt, um die Texte zu edieren. Sie waren in babylonischer Keilschrift, aber hethitischer Sprache verfasst, die dahin unbekannt war. Nur ein Jahr später, 1915, konnte er verkünden, die Sprache der Hethiter entziffert zu haben und ordnete sie den indogermanischen Sprachen zu. Im Jahr 1919 wurde er zum "Professor für Keilschrift und altorientalische Geschichte" an die Prager Universität ernannt. Als weiterer Wiener Altorientalist ist Georg Hüsing (1869-1930) zu erwähnen, der sich 1912 in Wien für die "Geschichte des Alten Orients" habilitierte und dort ab 1921 als außerordentlicher Professor wirkte. Sein Schwerpunkt lag auf den Sprachen von Elam und Urartu.

Geyers Nachfolger wurde 1924 sein Schüler Viktor Christian (1885-1963), der in Wien unter anderem bei David Heinrich Müller und Friedrich Hrozný studierte. Nachdem er 1910 promoviert worden war, vertiefte er seine Studien an der Berliner Universität bei den Philologen Friedrich Delitzsch und Hugo Winkler sowie bei dem Anthropologen und Ausgräber Felix von Luschan. Danach ging er in die ethnologische Abteilung des Naturkundemuseums in Wien, deren Leiter er 1919 wurde. 1923 erhielt er die venia legendi für "Semitisch mit besonderer Berücksichtigung der Keilschriften". Christian war sowohl philologisch, archäologisch wie ethnologisch breit interessiert und publizierte in allen Bereichen. Allerdings verhinderten seine ausgeprägten nationalsozialistischen Ansichten und seine dadurch beförderte universitäre Karriere, dass er nach dem Krieg weiterbeschäftigt wurde. Er war 1938 verantwortlich für die Entlassung seines Assistenten A. Leo Oppenheim (1904-1974), den er 1933 in Wien promoviert hatte. Oppenheim fand eine neue Heimat im Oriental Institute Chicago, wo er 1954 zum Professor ernannt wurde und dort von 1955-1973 verantwortlicher Herausgeber des "Assyrian Dictionary of the University of Chicago" war. Ein weiterer Altorientalist dieser Zeit war der 1931 in Wien für die "Geschichte des Alten Vorderasiens" habilitierte Friedrich Wilhelm König (1897-1972). Er arbeitete für die Österreichische Nationalbibliothek, wurde 1948 Honorarprofessor und beschäftigte sich mit der Edition von elamischen und urartäischen Königsinschriften.

Nach dem 2. Weltkrieg

Von 1949 bis 1953 vertrat Fritz Rudolf Kraus (1910-1991) das Fach. Er hatte in München und Leipzig semitische und orientalische Sprachen studiert und wurde 1935 in Leipzig bei Benno Landsberger promoviert. Er emigrierte während des Krieges nach Istanbul, wo bereits sein Lehrer Landsberger Zuflucht gefunden hatte. Dort konnte Kraus am Archäologischen Museum und der Universität tätig sein. 1949 wurde er außerordentlicher Professor für "Altsemitische Philologie und Orientalische Archäologie" an der Universität Wien. Im Jahr 1953 ging er an die Universität Leiden, wo er bis 1980 unterrichtete.

Terrakotte aus Syrien, 1. Hälfte 2. Jahrtausend v. Chr. @ Ellen Rehm

Sein Nachfolger war ab 1955 der 1931 bei Benno Landsberger promovierte Wolfram von Soden (1908-1996), der 1933 in Göttingen für "Orientalische Sprachen, insbesondere Assyriologie" habilitiert worden war. Aufgrund seiner nationalsozialistischen Vergangenheit war er nach dem Krieg ohne feste Anstellung. Sein 1952 veröffentlichter "Grundriss der akkadischen Grammatik" ist aber bis heute in Gebrauch, ebenso wie sein 1952 begonnenes, ursprünglich von Bruno Meißner begründetes "Akkadisches Handwörterbuch". Von Soden wechselte 1961 an die Universität Münster.

Ihm folgte von 1963 bis 1998 Hans Hirsch (1931-2020). Sein Forschungsschwerpunkt lag auf dem Gebiet der akkadischen Grammatik und auf den religions- und literaturgeschichtlichen Fragestellungen der Altorientalistik. Er übernahm 1976 von Ernst Weidner (1891-1976) aus Graz dessen 1923 gegründete Zeitschrift "Archiv für Keilschriftforschung", die 1926 in "Archiv für Orientforschung" umbenannt wurde. Dieses international sehr anerkannte Organ zeichnet sich durch eine umfassende Bibliografie und eine Verschlagwortung von altorientalistischer Fachliteratur aus (siehe AfO).

Seit 1963 wird das Fach durch eine Stelle der Orientalischen Archäologie unterstützt, die Erika Bleibtreu bis zur ihrer Pensionierung 2007 innehatte. Wissenschaftlich ist sie besonders der assyrischen Kunst verpflichtet.

Von 1998 bis 2015 war der Sumerologe Gebhard J. Selz der Stelleninhaber der Professur für "Altsemitische Philologie und Orientalische Archäologie". Sein Arbeiten beschäftigen sich mit der altorientalischen Geisteswelt.

Von Sodens Schüler Hermann Hunger (Promotion in Münster 1966) war nach Anstellungen in Wien und am Oriental Institute der University of Chicago von 1978 bis 2007 außerordentlicher Professor. Er gehört zu den führenden Wissenschaftlern der altorientalischen Astronomie und Wissenschaftsgeschichte.


Weiterführende Lit.: Hermann Hunger, Geschichte der Altorientalistik in Wien, in: F. Schipper (Hg.), Zwischen Euphrat und Tigris, Österreichische Forschungen zum Alten Orient, Wiener Offene Orientalistik 3, Wien 2004, 19-22.